Sprachen

In dieser Ausstellung sind zwar alle Handschriften einer Sprache zugeordnet. Das bedeutet aber nicht, dass mittelalterliche Handschriften nur jeweils eine Sprache enthalten haben, im Gegenteil. Wer im Mittelalter lesen und schreiben gelernt hatte, hatte Latein gelernt, und auch wenn Latein im Laufe des Spätmittelalters zunehmen an Bedeutung verlor, so gibt es Fälle von Sprachmischung in den erhaltenen Büchern.

Die Handschrift BNF, fr. 837 enthält fast ausschließlich französische Texte. Dennoch gibt es Spuren von Latein in den französisch-lateinischen Gedichten (siehe Patrenostres und Credos).

Ein anderer Fall ist die Geraardsbergen-Handschrift. Sie besteht fast ausschließlich aus niederländischen Texten, aber die Sammlung von Beischriften enthält lateinische wie niederländische Beispiele.

Daneben gab es auch Mischungen von mehreren Volkssprachen (?), gerade auch in Grenzgebieten. Die Geraardsbergen-Handschrift enthält einen französischen Text, ‘Fol est qui fol boute’. Unsere englische Handschrift besteht sogar aus drei Sprachen, denn der englische Schreiber eines französischen Textes hat eine fehlende Passage einfach in seiner Muttersprache ergänzt.

Die beiden deutschen Handschriften in dieser Ausstellung sind hingegen einsprachig. Das hat mit der enthaltenen Gattung zu tun: Handschriften mit kürzeren Verserzählungen enthalten nur sehr selten auch lateinische Texte (anders als Sammlungen religiöser oder chronikalischer Texte).

Texte

Wenn man heute von Text spricht, kann Verschiedenes damit gemeint sein. Das Wort kann ein ganzes Buch bezeichnen oder aber kleinere Einheiten dieses Buchs, beispielsweise bei einer Anthologie. Auch wenn Geschichten gesammelt und durch eine Rahmenerzählung verbunden sind – wie z. B. bei Boccaccios ‘Decamerone’ –, kann Text sowohl das Ganze als auch die Einzelteile meinen. Natürlich stellen wir uns heute unter einem Text etwas Geschriebenes vor, aber genauso gibt es auch mündlich konzipierte und/oder vorgetragene Texte.

Das Mittelalter kannte kein vergleichbares Konzept von ‘Text’. Es gibt eine ganze Bandbreite von Termini, die wir alle mit ‘Text’ übersetzen können (Buch, Geschichte, Erzählung, Rede etc). Dennoch kann mansehen, dass auch mittelalterliche Sammler und Leser von Handschriften eine recht klare Vorstellung von der Größe ‘Text’ hatten, auch wenn sie dafür kein übergreifendes Wort hatten: Wenn man beispielsweise mittelalterliche Inhaltsverzeichnisse ansieht (siehe Erfindungen des Mittelalters), zeigt sich, dass deren Ersteller ein ziemlich klares Bild von dem hatten, was sie da zusammenstellten: Texte wurden gezählt, nummeriert und zitiert, selbst wenn niemand sie ‘Text’ nannte.

Der Einfachheit halber verwenden wir in dieser Ausstellung den Begriff ‘Text’ für das, was in einer Handschrift gesammelt wurde, also eine zusammenhängende Anzahl von Sätzen, die in der Regel von einem vorhergehenden oder folgenden Text auf erkennbare Weise getrennt ist: Zumindest ließ die Schreiber etwas leeren Raum zwischen ihnen, sehr häufig markierte er auch den Anfang eines neuen Textes durch eine Initiale (?) und manchmal eine Rubrik (?) mit einem Titel oder einer Autornennung. Im folgenden Beispiel kann man an der freien Zeile deutlich die Grenze zwischen zwei Texten erkennen, auch wenn keine weitere Markierung vorhanden ist (der Schreiber sparte sogar Raum aus für eine Initiale, diese wurde aber nie eingefügt).

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 922, fol. 17r.

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms.germ.fol. 922, fol. 17r.

Unser Projekt behandelt eine bestimmte Sorte von Texten, nämlich kürzere Reimpaarerzählungen.

Werkstatt oder Kloster?

Es war einmal vor langer Zeit … da lebte ein einfacher Mönch in einem Kloster. Seine Aufgabe war es, im Skriptorium (?) Bücher zu vervielfältigen. Sein ganzes Leben verbrachte er damit, wieder und wieder dieselben Texte abzuschreiben, die sich in dem einen Buch befanden, das seit der ersten Abschrift sorgsam in einer hölzernen Truhe verschlossen war. Als er merkte, dass sein Ende nah war, bat er den Abt um eine letzte Gnade: noch einmal wollte er das ehrwürdige Original in Händen halten, dessen Texte er so oft geschrieben hatte. Mit zitternden Fingern wendete er Blatt um Blatt und las die Texte, die er mittlerweile auswändig konnte. Kurz bevor er das Buch aus der Hand legen wollte, fielen seine Augen auf ein Wort, das er noch nie gesehen hatte. Er begriff, dass er all die Jahre einen Fehler gemacht hatte: Statt celebatus (‘gepriesen, verherrlicht’) hatte er stets caelibatus (‘zölibatär’) geschrieben …

Der Witz ist alt, aber das Bild, das er transportiert, steckt fest in unseren Köpfen: Mönche, die ein Buch nach dem anderen abschreiben (und dabei Fehler machen). Dabei war die mittelalterliche Buchproduktion deutlich vielfältiger, als man annehmen würde.

Bis zum 12. Jahrhundert entstanden tatsächlich die meisten Bücher in Klöstern. Sie waren die interllektuellen Zentren, versammelten das notwendige Wissen und stellten die beste Infrastruktur zur Verfügung. Als aber ab dem 12. Jahrhundert Städte entstanden, der Handel immer wichtiger wurde und mehr und mehr Universitäten gegründet wurden, lernten auch immer mehr Menschen Lesen und Schreiben. Zunächst diente das administrativen Zwecken, doch bald wuchs auch die Nachfrage nach Büchern mit unterhaltenden oder besinnlichen Inhalten und überstieg die Möglichkeiten der Klöster. So kam es, dass immer mehr Menschen vom Schreiben leben konnten: Lehrer, Notare, Priester und Verwaltungsbeamte verdienten sich ein Zubrot, indem sie Texte abschrieben.

In den Handels- und Wissenszentren wie Paris, Oxford, London, Ghent, Brügge und Brüssel, Nürnberg, Augsburg oder Straßburg wurden Bücher im Spätmittelalter im großen Stiel hergestellt. So gab es im Paris des 13. Jahrhunderts mehrere Straßen, in denen Pergamentmacher, Schreiber (?) und Buchmaler (?) wohnten, die gemeinsam an der Herstellung der schönsten Handschriften beteiligt waren. Nach und nach entstanden Werkstätten, in denen Spezialisten arbeitsteilig Bücher herstellten. Lesen Sie hier mehr zu der berühmtesten Werkstatt im deutschsprachigen Raum.

Alle Handschriften, die in unserer Ausstellung vorkommen, wurden in Städten hergestellt.

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Buchschmuck

Private Collection (by courtesy of the owner): Initial A in gold leaf (2 lines high)

Privatsammlung (Abb. mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers): A-Initiale aus Blattgold, über zwei Zeilen

Die berühmtesten mittelalterlichen Handschriften sind solche mit reichem Buchschmuck (z. B. diese aus England oder diese aus dem deutschsprachigen Raum). Ausgeklügelte Malereien mit ihrer großzügigen Verwendung von Blattgold gehören zum Schönsten, was die abendländische Kunst zu bieten hat. Natürlich konnte sich nicht jeder solche Handschriften leisten, denn sie sehen nicht nur kostbar aus, sie waren es auch – damals wie heute. Deswegen gab es daneben eine große Menge sogenannter Gebrauchshandschriften, die deutlich weniger ausgeschmückt waren (hier ein Beispiel aus unserer Ausstellung). So oder so verrät die Ausstattung einer Handschrift eine Menge über den Auftraggeber, seinen sozialen Status und sein Interesse an der Handschrift.

Irgendeine Art von Buchschmuck gibt es in den meisten Handschriften. Das kann eine einfache Rubrizierung (?) sein – zum Beispiel eine durch rot hervorgehobene Initiale (?) oder Überschrift – oder eine aufwändige und komplexe Miniatur (?), die schon einmal eine ganze Seite ausfüllt und mit mehreren Farben und sogar Blattgold aufwartet. Ob zurückhaltend oder verschwenderisch: Mittelalterlicher Buchschmuck ist nicht nur eine Illustration, um die Seite zu verschönern, sondern dient immer dazu, dass man sich im Buch besser zurechtzufindet und seine Struktur versteht.

Privatsammlung: Initial C in gold leaf (2 lines high)
Privatsammlung (Abb. mit freundlicher Genehmigung des Eigentümers): C-Initiale aus Blattgold, über zwei Zeilen

Schmuckvolle Initialen werden immer hierarchisch eingesetzt: Zu Beginn des ersten Textes steht die schönste Initiale, und vergleichbar ausgestaltete Anfangsbuchstaben weisen auf weitere Textanfänge hin (wie in diesem Beispiel). Die Kapitel der einzelnen Texte haben etwas einfachere (kleinere, weniger bunte) Initialen, die Absätze dieser Kapitel wiederum noch schlichtere. Initialen, die Bilder enthalten, geben häufig Hinweise auf den Text, indem sie Figuren oder sogar ganze Szenen aus dem Text darstellen.

Weitere prachtvolle Handschriften finden Sie auf den Websites der meisten Bibliotheken, die mittelalterliche Handschriften in ihren Sammlungen haben und ihr Prunkstücke gerne online präsentieren (z. B. die Königliche Bibliothek in Den Haag). Unter diesem Link bekommen Sie Eindruck vom wohl berühmtesten illustrierten Buch des Spätmittelalters, dem Stundenbuch des Herzogs von Berry.

Hier geht es zu grundsätzlichen Informationen zur Seitengestaltung, hier zu den Besonderheiten mittelalterlicher Schriften.

Pergament oder Papier?

Beim Anblick von Schafen auf der Weide denken Sie vermutlich nicht unbedingt an Bücher. Und umgekehrt werden Ihnen auch nicht, wenn Sie eine Bibliothek betreten, Schafe in den Sinn kommen. Im Mittelalter aber gab es einen engen Zusammenhang zwischen Büchern und Schafen (auch Rindern, Ziegen oder anderen Tieren): Ihre Haut lieferte nicht nur das Leder zum Einbinden der Bücher, sondern auch das Pergament für die Buchseiten.

Pergament wurde im 2. Jahrhundert v. Chr. in Kleinasien erfunden und hat seinen Namenvon der griechischen Stadt Pergamon (heute in der Türkei). In den folgenden Jahrhunderten verdrängte es nach und nach das bis dahin gängige Papyrus als Schreibmaterial. Im Vergleich mit diesem hat Pergament nämlich einen wesentlichen Vorteil: Wenn man es faltet, bricht es nicht – und das erlaubte die Herstellung von Lagen (?) und damit von Kodices statt Buchrollen (Rolle oder Kodex?).

Pergament war sehr wertvoll. Blätter von Handschriften, die man aussortiert hatte, wurden für die Herstellung neuer Handschruften wiederverwendet: Sie konnten die Bindung stabilisieren, man konnte Leim aus ihnen herstellen – und manchmal hat man die Schrift auch abgeschabt und die Blätter neu beschrieben (was ein sogenanntes Palimpsest ergibt). Auch die schiefen und krummen Randstücke, die nach dem Ausschneiden von Buchseiten übrigblieben (schließlich sind Tiere nicht rechteckig!), fanden noch Verwendung, wie Sie in diesem Video sehen können.

Papier dürfte ungefähr zur selben Zeit erfunden worden sein wie Pergament, aber in einem völlig anderen Teil der Welt: in China. Nur langsam verbreitete sich über Handelsrouten in den arabischen und europäischen Raum die Fähigkeit, Papier herzustellen. Im maurischen Spanien gab es im 11. Jahrhundert die erste europäische Papiermühle, Italien folgte um 1270 mit Fabriano, wo bis heute Papier gemacht wird. Nördlich der Alpen wurde Papier noch lange importiert, bis ab dem 14. Jharhundert auch in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und England Papiermühlen aufkamen.

Papier war billiger als Pergament, und so beförderte seine Einführung den Boom in der Buchproduktion des Spätmittelalters noch zusätzlich. Seit dem späten 14. Jahrhundert wurden praktisch alle literarischen Texte nur noch auf Papier niedergeschrieben.

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Erfindungen des Mittelalters

Die allerersten Kodices hatten nur wenig gemeinsam mit dem, was wir uns heute unter einem Buch vorstellen. Zwar hatten auch sie schon zwei Buchdeckel und zwischen diesen Seiten (was sich vom Prinzip bis heute gehalten hat – außer bei Taschenbüchern). Aber ansonsten fehlte ihnen viel von dem, was moderne Bücher ausmacht. Schon im Mittelalter begann man allerdings, die Gestaltung, die Benutzerfreundlichkeit und nicht zuletzt den Preis von Büchern zu verbessern.Titel. Was würden Sie tun, wenn Sie einen bestimmten Text in einem Buch suchen, das viele Texte enthält, und es gäbe keine Titel? Vermutlich wären Sie ziemlich hilflos. Dem Mittelalter ging das offenbar nicht so, jedenfalls gibt es viele Beispiele von Sammelhandschriften, die ohne Titel auskommen. Manchmal sind die Texte durch etwas Freiraum getrennt oder durch eine Initiale (?), häufig aber noch nicht einmal das, so dass mn kaum erkennen kann, wo ein Text aufhört und der nächste beginnt. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Pergament war teuer, und es sollte kein Platz verschenkt werden. Vielleicht war es auch so gedacht, dass man nicht bestimmte Texte herausgreifen sollte, sondern einen nach dem anderen zu lesen hatte.

Tatsächlich gibt es aber schon sehr frühe Handschriften, die Titel für Texte verwenden, um sie wiedererkennbar zu machen. Mit der Zeit wurden diese immer häufiger: Rubriken (?) konnten dann Informationen zum Inhalt des folgenden Textes enthalten, auch wenn das nicht immer sehr eindeutig war (z. B. ‘Der Ritter und die Dame’). Manchmal ist eine Rubrik auch nur dazu da anzuzeigen, dass etwas Neues oder etwas Ähnliches wie vorher beginnt (‘Ein weiteres’ oder ‘Noch eines’). Immer öfter finden sich schließlich auch verdichtende, charakterisierende Titel, wie wir sie aus der Neuzeit kennen (‘Der Gürtel’ oder ‘Der Kaiser mit dem Bart’).

Inhaltsverzeichnisse. Die Erfindung von Titeln war die Grundlage dafür, dass mit der Zeit auch Inhaltsverzeichnisse entstehen konnten. In der Volkssprache (?) entstehen diese im 13. Jahrhundert (in lateinischen Handschriften gibt es sie schon früher). Sie halfen dabei, einen Überblick zu bekommen, was alles in einem Buch enthalten war, oder einen gewünschten Text aufzufinden. Und wer weiß wozu sie noch gut waren: Vielleicht gaben stolze Besitzer vor ihren Freunden damit an, welche Texte sie alle in ihrer Bibliothek hatten? Sicherlich waren sie auch praktisch, wenn es darum ging, die eigene Bibliothek zu ergänzen und dabei Dubletten zu vermeiden. Zumindest von einem Besitzer des 16. Jahrhunderts wissen wir, dass er so vorging (siehe den Post über Minnereden).

Foliierung. Wenn ein Inhaltsverzeichnis dazu dienen soll, einen Text leichter zu finden, ist es natürlich extrem hilfreich, wenn auch die Seiten des Buches nummeriert sind. Bei Handschriften werden traditionell nicht die Seiten, sondern die Blätter gezählt (‘foliieren’ von lat. folium, ‘Blatt’). Es gibt nur wenige Bücher, die schon im Mittelalter eine solche Foliierung bekamen oder bei denen die Texte durchgezählt wurden. Umso wichtiger ist diese Erfindung einzuschätzen, die die Benutzerfreundlichkeit eines Buches und eines Inhaltsverzeichnisses wesentlich erhöhte. Und nicht zuletzt können wir daraus auch schließen, dass bei den Lesern irgendwann das Bedürfnis entstand, auch einzelne Texte einer Handschrift zur Kenntnis zu nehmen, und nicht mehr die Texte linear hintereinander zu lesen.

Papier. Eine der wichtigsten mittelalterlichen Erfindungen ist zweifellos das Papier. In dem Moment, wo Schreiber dieses bedeutend billigere (wenn auch weniger haltbare) Material zu nutzen begannen, waren sie viel freier, Ergänzungen vorzunehmen, größere Schriften zu verwenden, mit dem Raum (und dem Freiraum!) auf einer Seite zu arbeiten (zum Beispiel um Platz für Erweiterungen oder Illustrationen zu lassen oder zwei Texte deutlich voneinander abzugrenzen). Es war nun auch nicht mehr wichtig, ob ein Text wichtig genug war, um ihm Platz auf dem Pergament zu widmen, so dass die Menge der niedergeschriebenen Texte förmlich explodierte. (Siehe auch Pergament oder Papier?).

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Minnereden

Minnereden sind eine wichtige Gattung im Spätmittelalter. Worum handelt es sich dabei genau?

An einem Beispiel können Sie sich eine solche Minnerede einmal näher ansehen. Hier kommen Sie zu einem Auszug samt Übersetzung und einem Audio-Beispiel.

Berühmte Minneredensammlungen finden sich zum Beispiel in den Handschriften Berlin, SBB-PK, Ms.germ.qu. 719 oder Berlin, SBB-PK, Ms.germ.qu. 2370.

 

Wer las die Handschriften?

Intriguing 'topless' illustration next to the tale 'Ivresse' from the Old French verse Vie des Pères Paris, BNF, fr. 20040, f. 89r Reproduced by courtesy of Bibliothèque nationale de France : gallica.bnf.fr/?lang=EN

Zeichnung neben der Erzählung ‘Ivresse’ aus der altfranzösischen gereimten ‘Vie des Pères’
Paris, BNF, fr. 20040, f. 89r
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque nationale de France: gallica.bnf.fr

Es gibt zahllose Beispiele dafür, wie Leser des Mittelalters (und auch späterer Zeiten) ihre Spuren in Handschriften hinterlassen haben. Wie wir hoben auch sie Textstellen hervor – wenn auch nicht mit bunten Textmarkern 😉 –, strichen Sachen durch oder hinterließen Kommentare. Das konnte ein einfaches Nota bene (?) sein (siehe Bild unten) oder eine Erläuterung oder Zeichnung, die sich auf den Text bezog (wie bei dem Bild rechterhand). In jedem Fall veraten sie uns etwas darüber, wie der Text damals gelesen wurde.

Ein Leser (Besitzer?) hat in einer Handschrift vermerkt, welche Texte er besaß; offenbar hatte er die Möglichkeit, in seiner Bibliothek mehrere Bücher zum Vergleich heranzuziehen.

In dem französischen Kodex BNF, fr. 837 findet sich eine große Anzahl verschiedener Leserspuren.

Das folgende Bild zeigt eine typische Art, wie mittelalterliche Leser auf eine wichtige Stelle aufmerksam machten:

marginal-note_fr.-12581_f.-357vb-

Zeigehand.
BNF. fr. 12581, f. 357v
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque nationale de France: http://gallica.bnf.fr

 

Minnereden und der Adel

Diese beiden Handschriften zusammengenommen zeigen, wie der ‘moderne’ Liebesdiskurs in Minnereden funktioniert: Um 1500 hat er den Minnesang als Form adeliger Selbstrepräsentation ersetzt. Literatur konnte als Statussymbol fungieren. An den beiden Handschriften lässt sich außerdem ablesen, dass man in diesen Kreisen kein besonderes Interesse an der materiellen Seite von Büchern hatte. Auf der anderen Seite kann man das Aufkeimen eines philologischen Interesses feststellen.

Dieser Typ von Sammelhandschrift – ein sekundär aus vorher unabhängigen Faszikeln zusammengebundenes Buch – lässt viel Raum für individuelle Interessen. Dennoch lässt sich ein klarer Schwerpunkt auf einer der zentralen spätmittelalterlichen Gattungen erkennen: der Minnerede.

Interessieren Sie sich für weitere Fallstudien?

Oder wollen Sie bei den systematischen fünf Räumen vorbeischauen?

Minnereden vergleichen

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 2370

Wir wissen, dass das Buch ein Geschenk war von einem adeligen Sammler an einen anderen. Einer von beiden hat dabei seine Hausaufgaben gemacht: Alle Minnereden wurden gelesen und, im 16. Jahrhundert, mit einer bereits bestehenden Sammlung verglichen. An ein paar Stellen hat nämlich eine Hand (?) des 16. Jahrhunderts Korrekturen an den Rand geschrieben, und es ist sehr wahrscheinlich, dass dieselbe Hand auch für die anderen Anmerkungen verantwortlich war.

Notiz ‘Das hab ich’ am Rand; Berlin (SBB-PK), Ms.germ.qu. 2370, fol. XXX (Ausschnitt).

Die meisten Minnereden in dieser Handschrift haben Titel, und neben einigen dieser Titel (aber nicht allen!) stehen Bemerkungen wie: Den hab ich. Das hon ich, Ich habs – sprachliche Varianten ein und derselben Aussage: ‘Das habe ich’. Offenbar notierte sich einer der Leser, welche der Minnereden er bereits in seiner Bibliothek hatte.

 

Hier geht es zur Zusammenfassung dieses Ausstellungsraums.