Vielsprachigkeit

Oxford, Bodleian Library MS. Bodl. 264, fol. 8r and fol. 209r (details)

Diese Handschrift versammelt Texte auf französisch (oben) und englisch (unten).
Oxford, Bodleian Library, MS. Bodl. 264, fol. 8r and fol. 209r (Ausschnitt)

Im 14. und 15. Jahrhundert gab in England drei Sprachen. Englisch war am weitesten verbreitet, vor allem als gesprochene Sprache, aber im Laufe des 14. Jahrhunderts auch zunehmend in der Schrift. Latein war die Sprache der Gebildeten in ganz Europa, und gelehrte Texte wurden fast ausschließlich in lateinischer Sprache aufgeschrieben (Recht und Theologie, Medizin und Wissenschaften); daneben fand es aber auch as Literatursprache Verwendung, bei der Tradierung der klassischen antiken Epen ebenso wie zeitgenössischer derb-komischer Lyrik. Französisch war im 11. Jahrhundert mit den Normannen auf die Insel gekommen, und im 12. und 13. Jahrhundert hatte sich in diesem französischen Dialekt (dem sog. Anglonormannischen) eine anspruchsvolle literarische Tradition herausgebildet. Selbst als die Bedeutung des Französischen um 1300 nachließ, gab es immer noch genügend Texte, die vorgetragen und aufgeschrieben wurden, besonders unter den Gebildeten und am Hof.

Die Handschrift Bodley 264 enthält Texte in zwei dieser drei Srachen, französisch und englisch. Das deutet darauf hin, dass der Besitzer des französischen Roman d’Alexandre, der den englischen Text Alexander and Dindimus ergänzen ließ, beide Sprachen konnte. Eine derartige Mehrsprachigkeit war nichts Ungewöhnliches unter gebildeten Adeligen, die natürlich am ehesten als Besitzer für ein so kostbares Buch in Frage kamen. Aber nicht nur Alexander and Dindimus, sondern auch der französische Marco-Polo-Text wurde ergänzt, als das Buch nach England gekommen war. Das bedeutet, dass die Londoner Werkstätten, in denen Bücher hergestellt wurden, offenbar auch (noch) französische Texte auf Lager hatten oder beschaffen konnten.

Alexander and Dindimus wird von manchen Forschern als Roman charakterisiert. Was dafür spricht, ist die Figur des Alexander und die Tatsache, dass exotische und ferne Länder vorkommen. Das Moment der Suche, das man normalerweise in englischen mittealterlichen Romane erwarten würde, fehlt allerdings hier. Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Roman gemeinsam mit französischen Texten überlierfert wird. Tatsächlich hat unsere Forschung nur ganz wenige solcher Überlieferungsgemeinschaften ergeben, von denen Bodley 264 eines ist. Man könnte vermuten, dass die unklare Gattungszugehörigkeit (was verstehen wir unter Gattungen?) der Grund für diese Kombination gewesen ist. Tatsächlich aber – und das ist ebenso erstaunlich wie selten – liefert in diesem Fall die Handschrift selbst eine Erklärung für die Zusammenstellung ihrer Texte.

Hier erfahren Sie mehr über das Missverständnis, durch das diese Texte in einem Buch landeten.

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(Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bodleian Library, University of Oxford
http://image.ox.ac.uk/show-all-openings?collection=bodleian&manuscript=msbodl264)

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