Wer schrieb die Handschriften?

Während Autoren Texte verfassten, waren die Schreiber dafür zuständig, sie abzuschreiben und dadurch ihren Fortbestand zu sichern. Dennoch ist die Trennlinie zwischen Autor und Schreiber nicht immer eindeutig zu ziehen.

So waren Schreiber natürlich keine Maschinen. Sie machten Fehler, waren mal mehr und mal weniger konzentriert, und an ihren Vorlieben und Eigenarten kann man mitunter ein und denselben Schreiber in verschiedenen Handschriften wiedererkennen. All das konnte zu teilweise erheblichen Unterschieden zwischen der Vorlage und der Abschrift führen (wie war das nochmal mit der Anekdote vom Mönch, der sein Leben lang denselben Text abgeschrieben hatte?). In der Geraardsbergen-Handschrift bemerkte der Schreiber (der möglicherweise auch der Besitzer der Handschrift war), dass er zwei Zeilen übersprungen hatte, und korrigierte seinen Fehler (mehr dazu finden Sie hier).

The scribe names himself after having transcribed Brunetto Latini's Li Livres dou Trésor.  Paris, BNF, fr. 12581, f. 229v.  Reproduced by courtesy of Bibliothèque nationale de France : gallica.bnf.fr/?lang=EN

Der Schreiber nennt seinen Namen am Ende der Abschrift von Brunetto Latinis ‘Li Livres dou Trésor’.
Paris, BNF, fr. 12581, f. 229v.
Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Bibliothèque nationale de France : gallica.bnf.fr/?lang=EN

Nicht selten dachten Schreiber mit, entdeckten (vermeintliche?) Fehler und veränderten und bearbeiteten die Vorlage bewusst, sei es, weil sie sie für falsch hielten, sei es, weil sich der Sprachgebrauch geändert hatte und sie den Text modernisierten.

Der Schreiber der Handschrift Bodley 264 hatte den Eindruck, dass die Geschichte, die er abschrieb, unvollständig war – und ergänzte den französischen Text kurzerhand mit einer Episode aus einer englischen Quelle (hier finden Sie Hintergründe dazu).

Im Laufe der Zeit gab es nicht mehr nur in den Skriptorien (?) Schreiber, sondern zunehmend auch in (städtischen) Werkstätten. Mehr Informationen zu dieser Entwicklung finden Sie unter Werkstatt oder Kloster?. Diese Veränderung hatte auch zur Folge, dass mehr Schreiber sich in den Handschriften nannten – um Werbung für sich zu machen oder einfach als Zeichen eines erstarkenden professionellen Selbstbewusstseins.

Ähnliches gilt für die Illustratoren, die mit den Schreibern in den Werkstätten eng zusammenarbeiteten. Auch sie entwickelten ein kommerzielles Interesse. In der prächtig illuminierten Handschrift Bodley 264 notiert der Illustrator Jehan de Grise nicht ohne Stolz seinen Namen und das Datum der Fertigstellung.

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