Kürzere Verserzählungen

In unserem Projekt wird eine bestimmte Gattung von Texten genauer angesehen: Kürzere Verserzählungen. Was hat es damit auf sich?

Kürze. Schreiber haben die Tendenz, kürzere mit anderen kürzeren Texten zu kombinieren (nicht länger als ca. 1500 Verse, also rund 30 moderne Taschenbuch-Seiten). Das hat einen offensichtlichen Grund: Anders als lange Texte – Romane oder Epen – füllen kürzere Texte kein Buch aus bzw. lohnt es sich nicht, jeden von ihnen aufwändig einzeln zu binden (wie ging das im Einzelnen?). Das hat mehrere Konsequenzen, die von Wissenschaftlern gedeutet werden können, wie z. B.:

  • Welche Texte wurden von den Schreibern kombiniert und in welcher Reihenfolge?
  • Wie werden Anfänge und Schlüsse markiert (wenn sie es werden)?
  • Wenn sie von verschiedenen Autoren stammen, (wie) werden diese genannt?

Ob eine Unterscheidung zwischen kürzeren und ganz kurzen Texten wichtig ist, kann z. B. die Untersuchung einer unserer französischen Handschriften zeigen.

Vers. Seit dem 13. Jahrhundert wurden auch literarische Texte in Prosa abgefasst. Im Unterschied zu gereimter Sprache wurde Prosa mit historischer Richtigkeit und Wahrhaftigkeit assoziiert, denn es war die Form, in der Chroniken geschrieben waren. Dennoch gab es noch genug Gattungen, die auch weiterhin in Versen verfasst wurden (und es gibt sie bis heute). Handschriften tendierten dazu, Gleiches mit Gleichem zu kombinieren, deshalb ist es sinnvoll, für eine Forschungsfrage eines von beiden auszuwählen. Wir haben uns für Verse etschieden.

Erzählungen. Schließlich galt es eine weitere Entscheidung zu treffen, was die von uns untersuchten Texte verbinden sollte. Unter den kürzeren gereimten Texten gibt es nämlich solche, die eine Geschichte erzählen, und solche, die – wie ein Traktat – einen Sachverhalt erklären und darstellen (z. B. didaktische Texte, die Verhaltensregeln diskutieren, religiöse Abhandlungen oder kontemplative Texte). Diese Unterscheidung ist für die Literaturwissenschaftler sehr wichtig; ob sie es in gleichem Maße für die mittelalterlichen Schreiber war, müssen wir noch herausfinden. – Übrigens ist es für unsere Unterscheidung nicht von Belang, ob ein Text eine weltlich oder eine religiöse Geschichte erzählt, sondern nur, ob es überhaupt etwas gibt, was man Handlung nennen kann.

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