Wilde Mischung

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 2370

1) Die ersten zwei Texte behandeln die Jagd. Zwar wird die Jagd häufig allegorisch für die Liebe verwendet, aber in diesem Fall handelt es sich um reine Jagdtexte:

fol. 1r-4v = ‘Lehre von den Zeichen des Hirsches’
fol. 5r-9v = ‘Lehre vom Arbeiten der Leithunde’
fol. 10r-13v = leer

2) Diese Gruppe von Texten nutzen Allegorien, aber auch naturkundliches Wissen über Pflanzen; Liebe spielt dabei oft eine wichtige Rolle:

fol. 14r-18v = ‘Was allerlei Blätter bedeuten’
fol. 18v = ‘Wankelmut und Blumenfarben’
fol. 18v-19r = ‘Vergißmeinnicht und Augentrost’
fol. 19v-25v = leer

3) Der dritte Teil enthält ziemlich derbe Texte über Wein und Bier und obszöne Texte über Frauen:

fol. 26r-33r = Fünfzehn Weingrüße und zwei Biergrüße
fol. 33v-35r = Sieben ‘Klopfan’-Sprüche
fol. 35v = Obszönrede: ‘Von einer schönen Frau’ (‘Der Pfeiffer’)
fol. 35v = Obszönrede eines Klerikers
fol. 36r-37v = Peter Schmieher: ‘Der Student von Prag’
fol. 37v = Priamel

4) Der letzte Teil besteht aus mehr oder weniger klassischen Minnereden:

fol. 38r-38v = ‘Das Scheiden’
fol. 38v-39r = ‘Abschiedsgruß’
fol. 39r-42v = ‘Das Meiden’
fol. 42v-46r = ‘Streitgespräch zweier Frauen über die Minne’
fol. 46r-52v = ‘Die Beständige und die Wankelmütige’
fol. 52v-57r = ‘Der Knappe und die Frau’
fol. 57r-59v = ‘Der schwere Traum’
fol. 59v-64v = ‘Die Beichte einer Frau’
fol. 64v-69r = Hermann von Sachsenheim: ‘Die Grasmetze’
fol. 69v-73r = ‘Traumerscheinung einer schönen Frau’
fol. 73v = leer
fol. 74r-80r = ‘Die sechs Kronen’
fol. 80v-84v = ‘Der schlafende Hund’

Was wissen wir darüber, wie dieses Buch benutzt wurde?

Bücheraustausch

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 2370
Wir können noch etwas mehr über die Bedeutung herausfinden, die Texte über die Liebe für spätmittelalterliche Adelige hatten. Werfen wir dazu einen kurzen Blick auf unser zweites Exponat, ebenfalls eine Handschrift, die heute in Berlin liegt. Sie war ein Geschenk an Christoph Mellinger von Graf Wilhelm Werner von Zimmern, und zwar im Jahr 1553, wie wir einem sehr detaillierten Exlibris entnehmen können. Darin wird auch verraten, dass der Vater und der Großvater des Schenkers (Johann Werner und Werner von Zimmern) die Herstellung der Handschrift veranlasst hatten. Wieder, wie bei unserem Hauptexponat, handelt es sich also um eine Handschrift, die im späten 15. Jahrhundert hergestellt und aus verschiedenen Faszikeln (?) zusammengestellt wurde.
Dieses Mal scheinen hinter den Texten sehr unterschiedliche Interessen zu stehen. Hier geht es zur Zusammenstellung der in Ms.germ.qu. 2370 enthaltenen Texte.
Diese Handschrift enthält hochinteresante Leserspuren, die einiges über ihre Nutzung verraten.

Warum Gebete?

Alle Gebete in dieser Handschrift kreisen um das Thema Tod. Und der Faszikel mit den Gebeten enthält außerdem eine deutsche Übersetzung der Requiemliturgie. Sicher können wir nicht sein, aber eine mögliche Erklärung dafür, dass diese Lage (?) in die Handschrift aufgenommen wurde, könnte das Gedenken an eine Verstorbene sein: Margarethe starb im Jahr 1471, und sie kommt zumindest indirekt in zweien der Texte vor und hat mit zwei weiteren zu tun. – Aber diese Überlegung gehört ins Reich der (wenn auch gut begründeten) Spekulation.

Warum wurden die Teile zusammengebunden?

Was sind also die Gründe dafür, dass man die unabhängigen Faszikel (?) später zu einem Buch zusammengebunden hat? Hier sind ein paar mögliche Antworten:
  • Die Texte waren alle noch ziemlich aktuell.
  • Sie stammten von beliebten Autoren der Region.
  • Es handelte sich um Sammlerstücke.
  • Sie zeigen die Verbindungen zwischen zwei adeligen Familien (was aus den in der Handschrift vorkommenden Namen rückgeschlossen werden kann).
mgq 719Grasmetze

Anfang der ‘Die Grasmetze’ von Hermann von Sachsenheim;
Berlin, SBB-PK, Ms.germ.qu. 719, fol. 196r.

Es ist auffällig, dass die Texte verschiedene Geschmäcker und Vorlieben bedienen. Sie reichen vom Lehrhaften bis zum Erotischen, und sie stellen – wie unsere modernen Statussymbole – eine Form der adeligen Selbstrepräsentation dar. Allerdings eher weniger in materieller Hinsicht, denn das, was Sie auf dem BIld rechts sehen, ist die aufwändigste Seite der ziemlich durchschnittlich gestalteten Handschrift.

Der Inhalt jedoch – Texte über Liebe – scheint genau diese Funktion der adeligen Selbstrepräsentation gehabt zu haben: Die Texte verweisen auf zwei durch Ehe und Literatur verbundene Adelsfamilien. Sie passen gut zusammen – genauso wie das aus mehreren Faszikeln zusammengefügte Buch. Das einzige, was zunächst verwirrt, sind in diesem Kontext die Gebete, die nicht so recht zum Rest der Handschrift passen wollen. Aber vielleicht gibt es auch für sie eine Erklärung, mit der wir sogar die Handschrift noch genauer datieren können.

Es gibt eine andere Handschrift aus derselben Zeit, an der man ebenfalls sehen kann, wie Texte über Liebe als adelige Selbstrepräsentation funktionieren konnten.

Lösung des deutschen Rätsels

edlle junckffrau radent waß ist daß
zwyernet fünff und eynß me
der fynffzehenst bustab am abc
bedrigt den man und nit me
Zweimal fünf = (die lateinischen Zahlen) V+V = W
plus eins = (die lateinischen Zahl) I
der 15. Buchstabe des (mittelalterlichen) Alphabets (wo i und j als eins gezählt werden) = P
–>WIP (‘Frau’)

Also: ‘Die Frau und nichts anderes legt den Mann herein.’

Zurück zum Rätsel.

Ein deutsches Rätsel aus dem Mittelalter

Am Ende des Textes von Erhard Wameshafft steht ein kurzes Rätsel, das den leeren Raum am Ende der Seite nutzt:
edlle junckffrau radent waß ist daß 
zwyernet fünff und eynß me
der fynffzehenst bustab am abc
bedrigt den man und nit me
‘Edle junge Herrin, ratet, was das ist:
Zweimal fünf plus eins
[und] der 15. Buchstabe im ABC:
das und nichts anderes legt den Mann herein.’       –>Lösung
Es ist typisch, wenn auch in dieser Handschrift einmalig, leeren Raum auf einer Seite mit kurzen Texten aufzufüllen. Dieses Rätsel passt ausgesprochen gut, denn auch schon der vorangegangene Text war einer junckfrawe (einer jungen Adeligen oder einfach einem Mädchen) gewidmet, genauso wie sich das Rätsel an eine solche richtet. Ist es möglicherweise dieselbe? Haben wir hier die Spur eines scherzhaften Liebesgesprächs (wo die zu erwartende Antwort des Mädchens fehlt)? Oder hat ein intelligenter Schreiber schlicht einen passenden Text eingefügt? DIESES Rätsel werden wir nicht lösen …
Zurück zu Erhard Wameshafft.
Oder weiter zu den Rückschlüssen aus den Namen in dieser Handschrift.
Oder mehr zu mittelalterlichen Rätseln.

Was uns die Namen verraten

Alle Namen, die in dieser Handschrift vorkommen – seien es die der Verfasser oder andere –, haben eine Verbindung zu den Grafen von Württemberg oder denen von Königstein-Eppstein,die ihrerseits durch Heirat verbunden waren: Margarethe, Schwester Heinrichs von Württemberg, die in dem Liederbuch genannt ist, war die Frau von Philipp von Eppstein-Königstein,dem Sohn Eberhards III. von Eppstein-Königstein, der wiederum in Erhard Wameshaffts ‘Liebe und Glück’ erwähnt ist. Diese Ehe wurde 1469 geschlossen, und nur zwei Jahre später, im Jahr 1471, starb Margarethe. Man kann also annehmen, dass Heinrichs Erwähnung im Liederbuch in die Zeit seiner Verlobung oder frühen Ehe fiel.

Das ist auch ein wahrscheinlicher Zeitraum für die Entstehung der rheinischen Werke Hermanns von Sachsenheim, der (gleichzeitig oder etas später) Beziehungen zum Hause Württemberg hatte. Auch wenn wir keinerlei Beweise haben, gibt es recht viele Indizien für dei Entstehung der Faszikel dieser Handschrift um 1470. Diese Datierung wird auch durch die Wasserzeichen (?) gestützt.

Es bleibt die Frage, warum die verschiedenen Teile der Handschrift zu einem späteren Zeitpunkt zusammengebunden wurden. Hier sind ein paar mögliche Antworten.

Erhard Wameshafft

Erhard Wameshafft (oder Waneshafft, wie er manchmal geschrieben wird) ist möglicherweise auch ein sprechender Name, nämlich ein ‘Erhard’, der in hoffendem Liebessehnen gefangen ist. Wir finden den Namen im Text selbst, das ‘Ich’ wird so von einer der allegorischen (?) Damen in der Gefolgschaft von Frau Liebe genannt (hier können Sie einen Ausschnitt aus dem Originaltext nachlesen und anhören). Am Ende seines Textes verrät Wameshafft noch mehr über die Entstehung des Textes:
Original: Hie mit die red sich fullent / die ich duommer wameshafft / uß schlechttem sin an meinsterschafft (!) / zu küngsteyn uß syennen brach / fyer wochen was ich cranck vnd swach / daß ich das lant mocht bruchen niht / die will maht ich duß nü gedicht / myner genedigen junckfrawen hab ichß geschenckt / dass got des frumm herrn gedenck / vnd behuet sin son das edel bluot / wan sie mich detten alles gut / spis und dranck mit willen gern / got well die dugent rich gewer.
Übersetzung: Hiermit ist der Text zuende, den ich dummer Wameshafft mit meinen bescheidenen Fähigkeiten und ohne besonderes Können verfasste. Vier Wochen war ich krank und schwach, so dass ich nicht durch die Lande ziehen konnte. Währenddessen machte ich dieses neue Gedicht. Meiner gnädigen jungen Herrin habe ich es geschenkt, damit Gott meinen noblen Herrn nicht vergesse und seinen edlen Sohn, denn sie haben mir viel Gutes getan und haben mir stets gern zu essen und zu trinken gegeben. Gott möge die Tugendhaften belohnen.
Die namenlose Dame könnte Anna gewesen sein, die Tochter von Graf Eberhard III. von Eppstein-Königstein. Abgesehen von diesem Text gibt es nur noch einen weiteren Text dieses Autors, und der wurde von den Grafen von Katzenellnbogen in Auftrag gegeben, also auch am Mittelrhein.
Am Ende des Textes von Wameshafft steht ein kurzes Rätsel. Eine kleine mittelalterliche Denksportaufgabe gefällig?
Hier gibt es Informationen zum anderen Autor der Handschrift, Hermann von Sachsenheim.
Hier kommen Sie direkt zu den Rückschlüssen aus den Namen in der Handschrift.

Hermann von Sachsenheim

Hermann von Sachsenheimwar adeliger Abstammung. Wir wissen von ihm, dass er zweimal verheiratet war und 1458 starb. Vermutlich studierte er Jura (jedenfalls kannte er sich im rechtswesen gut aus), und er pflegte engen Kontakt zu den Grafen von Württemberg: Mindestens einmal, nämlich 1432, lieh er dem Grafen eine beträchtliche Summe (wie es scheint, war er nach seiner zweiten Heirat recht wohlhabend). Zusammen mit den Anspielungen im Königsteiner Liederbuch haben wir nun eine zweite Verbindung zwischen dieser Handschrift und dem Haus Württemberg.
Wollen Sie auch mehr zu dem anderen Autor, Erhard Warmeshafft, wissen?
Sonst gehen Sie direkt zu den Schlussfolgerungen aus den Namen, die in dieser Handschrift vorkommen.

Die Namen im Buch

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719

Drei Autoren werden in der Handschrift namentlich genannt, Hermann von Sachsenheim, Erhard Wameshafft und Schoffthor. Der letzte scheint ein sprechender Name zu sein, der den Verfasser als dumm wie ein Schaf charakterisiert. Die ersten beiden hingegen geben uns wichtige Hinweise darauf, in welchem Umfesd die Handschrift entstanden ist.

Hier geht es zu Hermann von Sachsenheim.

Und hier zu Erhard Wameshafft.