Ursprünglich selbständige Teile

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719
Woher wissen wir, dass die Teile der Handschrift, die sog. Faszikel (?), vorher einzeln existiert haben?

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719, fol. 186r.

Die meisten der Faszikel enden mit leeren Seiten, ein klares Indiz dafür, dass das Buch nicht in einem durch geschrieben wurde. Um die Geschichte des Buches zu rekonstruieren, sind die leeren Seiten also mindestens so interesant wie die beschriebenen. Leer sind: 60v; 65v-67v; 101v-102v; 181v-185v; 191r-195v.

Außerdem sind die Außenseiten der Faszikel stärker abgenutzt als die inneren – sie lagen also nicht nur im Regal, sondern wurden auch benutzt und gelesen, bevor sie mit den anderen zusammengebunden wurden. Das Bild rechts ist ein Beispiel für Flecken am Anfang des fünften Faszikels.

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Inhalt von Ms.germ.qu. 719

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719

Diese Handschrift ist aus sechs ursprünglich unabhängigen Teilen zusammengebunden worden (woher wissen wir das?). Hier sind sie:

f. 2r-60r: Hermann von Sachsenheim: ‘Der Spiegel‘
f. 61r-65r: Erhard Wameshafft: ‘Liebe und Glück’; f. 65r: Rätsel
f. 68r-101r: Schoff thor: ‘Warnung an hartherzige Frauen’
f. 103r-181r: Königsteiner Liederbuch (mehr dazu)
f. 186r-190v: Gebete und Auszüge aus der Requiem-Liturgie (deutsch)
f. 196r-200v: Hermann von Sachsenheim: ‘Die Grasmetze’

Auch wenn wir nicht wissen, wer die Handschrift schrieb und in wessen Auftrag er das tat, können wir doch einiges über die dahinterstehenden Interessen herausfinden, wenn wir die Autoren genauer ansehen, deren Texte hier versammelt sind. (Wenn Sie auf diesen Link klicken, bleiben Sie auf dem Hauptweg durch den Ausstellungsraum.)

Warum hat man wohl diese Faszikel (?) zusammengebunden? (Wenn Sie auf diesen Link klicken, nehmen Sie eine Abkürzung durch den Ausstellungsraum und überspringen die Deutung der in der Handschrift enthaltenen Namen.)

 

Ein privates Liebesgespräch?

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719
Ein Teil der Handschrift ist relativ gut erforscht: das Königsteiner Liederbuch. Es handelt sich um eine Sammlung von 169 Liedern, von denen ein paar sogar mit Musik überliefert sind (was sehr selten ist im deutschsprachigen Raum). Zwischen den Lieder finden sich ein paar Anspielungen auf reale Personen:
Staatsbibliothek zu Berlin

Berlin, SBB-PK, Ms.germ.qu. 719, fol. 128v

heinrich graff
zu wirtemberg
Gedencke an mich als ich an dich
Nit mere beger ich
(Heinrich Graf von Württemberg, denk an mich so wie ich an dich;
mehr verlange ich nicht.)
Außerdem wurden zwischen die Lieder an verschiedenen Stellen Initialen eingetragen. Man gewinnt den Eindruck, dass hier mitten in dem Liederbuch ein ganz privates Liebesgespräch stattfand. Möglich ist auch, dass der Schreiber der Handschrift dieses Liebesgespräch aus der Vorlage abgeschrieben hat.
Hier geht es zurück zum Überblick über alle in der Handschrift enthaltenen Texte.

Eine Minnereden-Sammlung

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719 Unser zentrales Ausstellungsstück ist eine Berliner Handschrift, Ms.germ.qu. 719, in der etliche Minnereden versammelt sind. Die Teile, aus denen sie besteht, wurden um 1470 geschrieben. Diese waren aber zunächst unabhängig und … Weiterlesen

Liebesgedichte sammeln

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Seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde Minnesang in großen Sammelhandschriften überliefert. Die berühmteste dieser Sammlungen ist zweifellos der so genannte Codex Manesse. Wie in allen anderen uns bekannten Sammlungen sind auch hier die Gedichte nach Verfassern geordnet. Berühmt ist … Weiterlesen

Minnereden

Viele Minnereden sind Erzählungen (auch wenn uns modernen Lesern der Inhalt nicht sehr interessant vorkommt). Sie beginnen in der Regel mit einem Ich-Erzähler, der berichtet, wie ihn ein Spaziergang in einen wunderschönen Wald führt, in dem er dann zufälig einem Ritter oder einer adeligen Dame begegnet, die sich als allegorische (?) Figuren herausstellen: der Ritter ist auf der Suche nach der LIEBE, oder die Dame, als die LIEBE, auf der Suche nach dem idealen LIEBHABER.

Im Unterschied zum Minnesang, der seit etwa 200 Jahren gut erforscht ist, sind viele Minnereden bis heute völlig unbekannt. Sie gelten in der germanistischen Forschung als eintönig und langweilig. Das war um 1500 definitiv anders: Wie wir den zahlreichen Sammelhandschriften entnehmen können, die sich erhalten haben, waren sie begehrte Sammelobjekte unter den Adeligen des Spätmittelalters.

Hier finden Sie ein Beispiel für eine Minnerede mit einem kurzen Textauszug, Übersetzung und Audio-Beispiel.
Hier geht es zurück zu Liebe im deutschen Mittelalter. Hier kommen Sie weiter zu unserem zentralen Ausstellungsstück, einer Minnereden-Sammelhandschrift aus dem 15. Jahrhundert.

Liebe im deutschen Mittelalter

Literatur um 1200
Liebe war seit dem Hochmittelalter ein adeliges Hobby: Die ersten Trobadors (in Südfrankreich) und die ersten Minnesänger (im deutschsprachigen Raum) waren Adelige. Sie nutzten das Medium des Gedichts für einen Diskurs über Liebe: mittelhochdeutsch minne bedeutet schlicht ‘Liebe’, Minnesang kann man also mit ‘Liebesgedicht’ übersetzen. Auch andere Dinge, wie Hierarchie, sozialen Aufstieg oder Individualität, werden in diesen Gedichten verhandelt. Gedichte hat man sich dabei um 1200 immer gesungen vorzustellen. Es war also ein adelige Hobby Gedichte zu verfassen, vorzutragen – und auch, sie zu sammeln und in Büchern zusammenzustellen.
Der Geschmack wandelt sich
Im 14. Jahrhundert wird Minnesang zwar immer noch gesammelt und auch gelegentlich aufgeführt, aber er gilt zunehmend als altmodisch. Die Liebe hingegen als etwas, über das man redet und deren Wesen man zu verstehen versucht, bleibt. Nur wird sie nun nicht mehr in Gedichtform thematisiert, sondern die Dichter drücken ihre Gedanken nun in epischen Texten aus, die überwiegend paargereimt (und nicht mehr, wie der Minnesang, strophisch) sind. Viele von ihnen (wenn auch längst nicht alle) verwenden Allegorien (?). In der Forschung werden sie Minnereden genannt – Reden über Liebe.
Minnereden-Sammlungen in Handschriften
Im Unterschied zur prachtvollen manessischen Liederhandschrift, in der Minnesang überliefert ist, sind Minnereden-Handschriften in der Regel ziemlich unauffällig. Dennoch können Sie uns eine Menge darüber verraten, was für eine Rolle die Liebe und die Literatur im Leben des spätmittelalterlichen Adels gespielt haben.
Werfen Sie einen Blick auf unser zentrales Ausstellungsstück, die Handschrift Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK), Ms.germ.qu. 719.